Breathwork / Pranayama - Über die Atmung in die Stille
Breathwork, also Atemarbeit, ist der Überbegriff für eine Reihe, zum Teil sehr unterschiedlicher, Methoden, Techniken und Philosophien, die den Atem als Werkzeug für Veränderungsarbeit an Körper, Geist und Seele nutzen. Genau das tut auch die Pranayama-Praxis.
Breath(NO)Work (Der spirituelle Atem)
Wir möchten eine Lanze für den spirituellen, ruhigen Atem brechen. Aus unserer Sicht, und laut Patanjalis Yoga Sutras, geht es darum, den Atem zur Ruhe zu bringen, um das Tor zur Meditation zu öffnen. Atem ist ein sehr kraftvolles Instrument und sollte nur mit allergrösster Sorgfalt und Achtsamkeit verändert werden.
„Der Atem ist wie ein wildes Tier. Der Atem sollte in dem Masse verändert werden, also ob man ein wildes Tier, einen Elefanten, Tiger oder Löwe zähmen möchte. Wenn es nicht auf achtsame Art und Weise passiert, tötet das wilde Tier den Zähmenden.“ (HYP II,15)
Der Atem ist sehr potent und kann bei unachtsamer und intensiver Praxis zu Störungen im Geist, bis hin zu Psychosen führen. Es braucht die Anleitung und Begleitung eines erfahrenen Lehrers.
Der Atem sollte in keiner Weise gepusht und intensiviert werden. Vor allem nicht bei unerfahrenen Praktizierenden.
Im Yogastudio üben wir Pranayama sehr behutsam, damit die Praktizierenden langsam ihre Atemmuster (=Verhaltensmuster, Emotionen) verändern können.
„Kommt die Atmung zur Ruhe kommt alles zur Ruhe.“ (Dr. Shrikrishna)
In den Yoga Sutras werden die Absicht und das Ziel des Pranayama sehr gut beschrieben. Es geht um den sogenannten „4. Atem“, den Transzendenten Atem oder die Atemstille.
Was ist Pranayama?
Pranayama bildet in den Yoga-Sutren von Patanjali das vierte Glied des Raja Yoga (bzw. Ashtanga Yoga - aus dem Sankrit "Ashta Anga", d.h. acht Glieder). "Prana" ist eine Bezeichnung für die Lebensenergie und "Ayama" kann mit "kontrollieren" oder auch mit "erweitern" übersetzt werden. Der Begriff "Pranayama" bezeichnet also die bewusste Regulierung und Vertiefung der Atmung durch Achtsamkeit und beständiges Üben. Da die Atmung Träger der Lebensenergie ist, kann Prana auch mit "Atem" übersetzt werden, im ursprünglichen Gebrauch hat der Begriff jedoch ein größeres Bedeutungsspektrum. Bei einer fortdauernden Konzentration auf die Vorgänge der Atmung und durch gezielt ausgeführte Atemtechniken werden auch Prozesse des Bewusstseins beeinflusst.
Bei der Pranayama-Praxis werden über längere Übungsphasen die normalerweise unbewussten Atemmuster durch bewusst angewandte Techniken ersetzt. Es gibt verschiedene Techniken, bei denen jeweils mit verschiedenen Muskelgruppen gearbeitet wird, vor allem mit dem Zwerchfell, sowie mit Brust-, Bauch- und Beckenbodenmuskeln. Auf diese Weise werden die Atembewegungen in den Fokus der Aufmerksamkeit genommen. Als erste Stufe der Praxis kann durch einfaches Atemgewahrsein zunächst die Sensibilität für die inneren Vorgänge der Atmung erhöht werden (Sanskrit: "prakrit pranayama"). Unbewusste, gewohnheitsmäßige Atmungsmuster können so bewusst werden. Im menschlichen Organismus besteht eine enge Beziehung zwischen kognitiven und physiologischen Prozessen. Es sind direkte Zusammenhänge zwischen physischen und psychischen Veränderungen und Veränderungen der Atemmuster zu beobachten. So geht beispielsweise Angst mit einer flacheren und schnelleren Atmung, oder Erschrecken mit plötzlichem unwillkürlichem Einatmen und Luftanhalten einher. Zumeist sind also mit bestimmten unbewussten Atemmustern ebenso unbewusste emotionale Muster der Psyche verknüpft - diese können durch ein verbessertes Bewusstsein für die Atmung ihren zwanghaften Charakter verlieren. Auf diese Weise können eingefahrene Gewohnheitsmuster des Organismus' sanft der bewussten Veränderung zugänglich gemacht werden.
Die Atmungspraxis kann somit als Bindeglied zwischen Vorgängen des Körpers und geistigen Prozessen betrachtet werden. Im Yoga hat deshalb die Praxis des Pranayama traditionellerweise eine große Bedeutung. Pranayama kann als eine der ältesten Formen der Atemtherapie bezeichnet werden.
Die zweite Stufe der Atem " Arbeit" und Pranayama-Praxis
In einer zweiten Stufe der Pranayama-Praxis werden durch achtsame, der natürlichen Atemregulation nicht zuwiderlaufende Techniken Entspannungseffekte und eine Verlangsamung der Atemaktivität bewusst herbeigeführt (Sanskrit: "vaikrit pranayama"). Damit einhergehend kommt es zu einer Beruhigung der gewohnheitsmäßigen Denktätigkeit des Geistes, so dass eine tiefe innere Stille eintreten kann und eine Weitung des Bewusstseins erlebbar wird.
Diese dritte Stufe des Pranayama, der stille, wache und offene Geist und die ruhige, ungestört und sanft fließende Atmung wird traditionell mit dem Begriff "kevala pranayama" bezeichnet.
Werden die verschiedenen Übungen regelmäßig praktiziert, wird das Atemvolumen vergrößert und der Atem immer länger und feiner (Sanskrit: "dirgha" und "sukshma" (Yoga Sutras, Kap. II, Sutra 50)). Bisweilen kommt es zu natürlichen (d.h. mühelosen) Atemverhaltungen (Sanskrit: "kevala kumbhaka").
Physikalische Sicht auf Pranayama
Aus physikalischer Sicht kommt es bei so einer feinen, sehr langsamen Atmung zu einer nahezu turbulenzfreien, laminaren Luftströmung in den Atemwegen und Bronchien, wodurch die biochemischen Gasaustauschprozesse der Lunge optimiert werden. In verschiedenen medizinischen Studien konnte gezeigt werden, dass die regelmäßige, langsame Pranayama-Atmung zu positiv bewerteten Effekten führt, wie z.B. ein verringerter Sauerstoffbedarf, verringerter Pulsschlag und Blutdruck, sowie Auswirkungen auf den Hautleitwert, gesteigerte Amplituden von Theta-Wellen im EEG, gesteigerte Aktivität des Parasympathikus, einhergehend mit dem Gefühl von Klarheit, Wachheit und Energetisierung.
Atmung bei Patanjali
Bereits Patanjali legte in seinen Yoga Sutras dar, dass Ablenkungen des Geistes mit unruhiger Atmung verbunden sind (Kap. I, Sutra 31) und dass der Geist durch behutsame Atemlenkung zur Konzentration gebracht werden kann (Kap. I, Sutra 34). Die Pranayama-Praxis führt bei sensibler Ausführung zu einer Veränderung der Aktivitäten des Geistes und kann bei regelmäßiger Praxis eine tiefgehende und nachhaltige Transformation des Bewusstseins und eine zunehmende Sensibilisierung für die subtilen Aspekte der Lebensaktivitäten bewirken.
Felix Tietje, 2007.
Anmerkung: Teile dieses Textes bildeten auch die Grundlage für den Enzyklopädie-Artikel zu "Pranayama" in der deutschen Wikipedia. Der Text wird hier als gemeinfrei zur freien, nichtkommerziellen Nutzung veröffentlicht.
"... durch die verstärkte und verfeinerte Sensitivität einerseits als auch durch die vertiefte Achtsamkeit, die sich aufgrund von Yoga-Praxis entwickeln, kann man den gesamten Bereich der Prana-Aktivität ins Bewusstsein heben und lernt, diese in gewünschter Weise zu regulieren."
"Das bewirkt eine vollständige Transformation des individuellen Bewusstseins, in dem man den eigenen inneren Zustand als nichts anderes erfährt als reines unkonditioniertes Bewusstsein, unbefleckt durch das Konzept von Zeit und Raum. Dies ist das letztendliche Ziel des Yoga."
"Yogamethoden sind nicht als Instantlösungen für verschiedene Probleme des eigenen Lebens gedacht. Was man als Fähigkeit durch diese Praktiken erwirbt, muss in den Rest des eigenen Daseins übertragen, in alle Aspekte des Lebens integriert werden. Dies ist es, wodurch man beginnt, das Leben in einer sinnvollen Weise zu führen."
(Shrikrishna)